BIA in der Praxis – Adipositastherapie

Die Gründe für Übergewicht gehen tiefer und sind komplexer, als viele Menschen annehmen. Vom Vorherrschen adipogener Umwelten bis zu verhaltenspsychologischen Ursachen oder genetischen Dispositionen für einen verminderten Energiestoffwechsel – die Adipositasmedizin kennt die Gründe für die seit Jahren steigende Prävalenz von Adipositas genau. Und sie hat das Wissen und die Werkzeuge, um Adipositas-Betroffenen langfristig zu helfen. Die Konzepte und Herangehensweisen der Medizinerinnen und Mediziner, die wir besucht und befragt haben, sind unterschiedlich, aber ihr Ziel ist das gleiche: Das Gewicht der Menschen verringern und Gesundheit und Lebensqualität wiederherstellen. Ein verbindendes Element ist dabei die Nutzung der Bioimpedanzanalyse (BIA). Häufig ist die BIA der Pfeil im Köcher diagnostischer Maßnahmen, der als erstes abgeschossen wird. Sie ermöglicht einen schnellen und einfachen Blick in den Körper, zeigt die Muskel- und Fettmasse und bietet mit weiteren Parametern, wie viszeralem Fett oder extrazellulärem Wasser, die Grundlage für eine Beurteilung von gewichtsassoziierten Gesundheitsrisiken. Dabei dauert eine Messung nur wenige Sekunden und ist einfach und kostengünstig durchzuführen. 

Unsere BIA-Expert:innen

v. l. n. r.Dr. Bianca Itariu – Fachärztin für Innere Medizin; Dr. Susanne Maurer – Fachärztin für Innere Medizin, Sportmedizin und Ernährungsmedizin; Dr. med Winfried Keuthage – Leitet die Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin in Münster

Dr. Bianca Itariu – Die diagnostische Wahrheit beginnt hinter dem BMI

Bianca Itariu ist niedergelassene Fachärztin für Innere Medizin und ehemalige Leiterin der Adipositas-Ambulanz im AKH Wien. In Ihrer Wahlarztordination behandelt sie weiterhin hunderte Menschen mit Adipositas. Ihr Patientenprofil reicht von Menschen mit Übergewicht und drohenden Stoffwechselerkrankungen bis hin zu Schwerkranken mit einem BMI von über 40 kg/m² und verschiedensten Komorbiditäten. Die Behandlung beginnt bei ihr mit einer Messung der Körperzusammensetzung. Gleich nach dem Ausfüllen des Anamnesebogens und einer kurzen Erläuterung durch die MFA, was es mit der Messung auf sich hat, wird sie durchgeführt und sofort ausgewertet. „Eigentlich alle Patienten stimmen der Messung zu und sind neugierig auf ihre Ergebnisse“, sagt sie.  

Nach der Diagnose schlägt Bianca Itariu ihren Patienten einen Behandlungspfad vor. Im Bereich der Adipositasbehandlung sind das zunächst konservative Behandlungskonzepte, also im wesentlichen Lebensstiländerungen, Ernährungsberatung und Bewegung. Scheitern diese, kommt eine medikamentöse Behandlung mit GLP1-Rezeptor Agonisten ins Spiel oder eben, nach der gegebenen Risikoaufklärung, bariatrische Chirurgie wie eine Schlauchmagen-OP. Das Ergebnis und der Erfolg dieser Maßnahmen lässt sich mit der Messung der Körperzusammensetzung kontrollieren und kann dem Patienten sichtbar gemacht werden. 

Zu den großen Vorteilen der BIA gehört, dass sie – anderes als beispielsweise ein Blutbild – sofort Messergebnisse liefert. Es ist ab dem ersten Patientengespräch eine tiefergehende Datengrundlage zum Ernährung- und Gesundheitszustand gegeben. Anknüpfungspunkte werden geschaffen, und auch wenn der Patient vielleicht schon geahnt hat, dass er oder sie übergewichtig ist, macht es einen Unterschied, wenn eine medizinisch validierte Messung bestätigt, dass es sich dabei wirklich um überschüssige Fettmasse handelt. Die Parameter des Übergewichts wie Wasser, Fett- und Muskelmasse werden für den Mediziner quantifizier- und unterscheidbar. Das bietet eine höhere Aussagekraft als eine Messung des BMI, also des Gewichts bezogen auf die Körpergröße. 

Überraschung: Erhöhtes Gesundheitsrisiko trotz BMI von 23 kg/m² 

Bianca Itariu betont, dass sie keine Gegnerin des BMI ist, aber eine BIA, so sagt sie, ist deutlich wertvoller. Ein typisches Fallbeispiel ist für sie eine Patientin mit einem BMI von 23 kg/m², die sich schlapp und antriebslos fühlt. Sie machte keinen Sport und arbeitete am Schreibtisch. Auf den ersten Blick hätte Bianca Itariu ihren Ernährungszustand als gut eingestuft. Eine Messung der Körperzusammensetzung enthüllte dann, dass die Frau viel zu wenig Muskelmasse besaß und die Fettmasse erhöht war. „Bluttests ergaben dann noch einen Prä-Diabetes, für die Frau war es also höchste Zeit etwas zu unternehmen.“  

Patientenbeispiel 1 (BMI 23 kg/m²)

Ein weiteres Beispiel ist eine ehemalige Skiläuferin mit einem BMI von 31 kg/m², also einer Adipositas. Die Messung der Körperzusammensetzung bestätigte den BMI mit einer Fettmasse im roten Bereich von anteilig 40 Prozent. Jedoch war auch die Muskelmasse überdurchschnittlich hoch, ebenso der Phasenwinkel. Das viszerale Fett war nicht übermäßig erhöht. Unterm Strich lag damit ein weitaus geringeres Gesundheitsrisiko vor als für die Patientin mit dem Normal-BMI. Die Daten der Messung trugen zur Entscheidung über den Behandlungspfad mit bei. Die ehemalige Skiläuferin musste lediglich Fettmasse abbauen, die Frau mit dem Normal-BMI hingegen dringend Muskelmasse aufbauen. 

Patientenbeispiel 2 (BMI 31 kg/m²)

Die Daten der BIA helfen nicht nur dem Mediziner, sondern auch dem Patienten. Er kann seine Ernährungssituation besser verstehen und therapeutische Maßnahmen nachvollziehen. In diesem Zusammenhang berichtet Bianca Itariu von einem Patienten, der im Hinblick auf seine erhöhte Fettmasse erwiderte, dass er doch nur ganz wenig esse. Ein Blick auf den Gesamtenergieverbrauch offenbarte dann, dass es wegen dem mäßigen Bewegungsprofil und der geringen Muskelmasse trotzdem einen Kalorienüberschuss gab. Für den Patienten war das ein echtes Aha-Erlebnis.  


Dr. Susanne Maurer – Von Slow Burnern und extrazellulärem Wasser

Im Zentrum für Adipositas- und Stoffwechselmedizin Winterthur behandelt Susanne Maurer Patienten mit einem Durchschnitts-BMI von 42 kg/m². Patienten werden durch den Hausarzt an das Zentrum überwiesen und kommen so in die Adipositastherapie. Die Adipositasabklärung beginnt dabei standardmäßig mit einer Laboruntersuchung, Kalorimetrie und einer BIA.  

Nach dem Behandlungskonzept von Susanne Maurer werden die Patienten in vier grundlegende Adipositas-Phänotypen eingeteilt: Emotional Hunger, Hungry Brain, Hungry Gut, Slow Burn. Jeder Typ hat einen anderen Ursachenschwerpunkt für die Adipositas und muss demnach auch anders behandelt werden. Bei Slow Burnern läuft der Energiestoffwechsel langsam und das Abnehmen entsprechend schwer. Ursache können eine genetische Disposition sein, aber auch schlicht eine zu niedrige stoffwechselaktive Zellmasse. Letzteres kann Susanne Maurer und ihr zwanzigköpfiges Team innerhalb von wenigen Sekunden mit der BIA abklären.  

Außer bei der Diagnose unterstützt die BIA auch bei der Vermittlung des Therapiepfads. „Wenn ich sehe, dass Patienten wegen eines auf das Gesamtgewicht bezogenen zu geringen Energiestoffwechsels beim Abnehmen nicht vorankommen, hilft häufig auch keine qualitativere Ernährung mehr, um eine Unterkalorie zu erzeugen“, erklärt Susanne Maurer. In diesen Fällen wird eine genaue – und bei Patienten nicht immer beliebte – Überwachung der Kalorienzufuhr nötig. Damit die Patienten die Maßnahme verstehen und besser umsetzen können, hilft es, die Parameter zu sehen und Zusammenhänge zu erklären.  

Was zählt, ist die stoffwechselaktive Zellmasse 

Für Susanne Maurer sind nur die Parameter der stoffwechselaktiven Körperzellmasse interessant wie beispielsweise die Skelettmuskelmasse, oder um es mit ihren Worten etwas pointierter auszudrücken: „Fettmessung interessiert mich nicht.“ Da nur die stoffwechselaktive Zellmasse, im Wesentlichen Muskulatur, Kalorien verbrennt, ist sie zwangsläufig der Schlüssel für einen Abbau der Fettmasse. Die Fettmasse selbst hat daher nur einen indirekten diagnostischen oder therapeutischen Mehrwert für Susanne Maurer. 

Eher als auf die Fettmasse schaut Susanne Maurer auf das intra- und extrazelluläre Wasser. „Mit der Messung sehe ich sofort, ob der Patient viel Wasser an Bord hat. Besonders im kardiometabolischen Kontext ist das interessant.“ So kann die Wasserdistribution einen ungünstig eingestellten Blutdruck offenbaren oder – im Falle eines erhöhten extrazellulären Wasserkompartiments – auf eine Insulinresistenz, aber auch auf rheumatischen Komorbiditäten oder Fibromyalgien hinweisen. „Wenn sich das extrazelluläre Wasser verringert, kann ich sehen, dass der therapeutische Weg richtig ist, auch wenn die Fett- und Muskelmasse gleichgeblieben ist.“   

Darauf angesprochen, was für sie bei einer BIA-Lösung wichtig ist, hat Susanne Maurer ein großes Lob für seca übrig: „seca hat großes Engagement in der Produktentwicklung gezeigt und eine wirklich medizinische BIA-Lösung entwickelt.“ Überzeugt haben sie unter anderem die Validierung gegen Goldstandard-Referenzmethoden wie Ganzkörper-MRT für die Muskelmasse und DXA bei der Fettmasse als Teil des 4C-Modells. Auch die sehr großen Probandenkollektive über verschiedene Altersgruppen findet sie überzeugend, vor allem da sie aktuell sind, denn die Ernährungssituation ändert sich schnell. 

Dr. med. Winfried Keuthage – Diabetes bekämpfen heißt Übergewicht bekämpfen

Wer Diabetes behandelt, sollte auch Ernährung und Übergewicht in den Fokus nehmen. Daher liegt der Praxisschwerpunkt des Diabetologen Winfried Keuthage nicht nur auf der Diabetesbehandlung, sondern auch auf der Reduktion von Übergewicht. „Adipositas und Typ-2 Diabetes korrelieren in einer Vielzahl von Fällen. Wir bieten aber auch ein Therapieangebot für Menschen mit Adipositas unabhängig von einer Diabeteserkrankung.“, so Dr. Keuthage. 

Es besteht eine erhebliche Nachfrage nach ärztlich begleiteter Gewichtsreduktion, wobei nur wenige Mediziner eine spezialisierte Adipositas-Behandlung anbieten. Für Dr. Keuthage ist diese Bandbreite besonders wichtig, um nicht ausschließlich auf medikamentöse und Insulin-basierte Therapien angewiesen zu sein. Zudem spielt die Verringerung des Körpergewichts eine entscheidende Rolle, um der Entstehung von Typ-2-Diabetes von vornherein entgegenzuwirken. 

Patienten werden von ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin zu Dr. Keuthages Praxis überwiesen, die das gesamte Spektrum der Adipositastherapie bietet. Angefangen bei der konservativen Therapie mit Ernährungsanpassung und Bewegungsprogrammen über die medikamentöse Behandlung bis hin zur metabolischen Chirurgie werden alle Therapiemöglichkeiten in Erwägung gezogen. Die Behandlung umfasst je nach Anforderung unterschiedliche Fachbereiche. Dazu gehören beispielsweise die Verhaltenstherapie, Chirurgie, Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Psychosomatik oder Gastroenterologie. Auch Selbsthilfegruppen werden über die Praxis organisiert.  

Der Verlauf einer Magen-OP sollte mit BIA überwacht werden 

Unabhängig vom gewählten Therapiepfad wird das Angebot üblicherweise von zwei BIA-Messungen zu Beginn und am Ende begleitet. Dr. Keuthage erkennt den größten Nutzen der Bioimpedanzanalyse bei der prä- und postoperativen Betreuung von Patienten. Hier sieht er die Überwachung mit BIA als zwingend erforderlich, da innerhalb kurzer Zeiträume erhebliche Veränderungen in der Körperzusammensetzung auftreten. Die Kontrollmessungen sollen den Erhalt von möglichst viel Muskelmasse durch gezieltes Krafttraining und eine ausreichende Eiweißzufuhr sicherstellen. „Eine gute Vor- und Nachsorge auch mithilfe der BIA ist extrem wichtig. Ob die Reduktion von Gewicht gesund und verträglich abläuft, darf nicht dem Zufall überlassen werden“, so Dr. Keuthage. 

Dass Patienten nach einer BIA-Messung fragen, kommt nur selten vor. Allerdings sehen und verstehen sie den Nutzen der BIA auf Anhieb, sobald die Messung im Rahmen der Adipositasberatung und -behandlung durchgeführt wird. Dr. Keuthage bietet in seiner Praxis einzelne Messungen als IGeL-Leistung an. „Das seca System überzeugt uns und wertet unser Behandlungskonzept und unsere Ernährungsberatung auf. Wir empfehlen es jedem, der sich bei uns in die Adipositastherapie begibt, egal mit welcher Maßnahme er abnehmen will.“ 

Dr. Keuthage sieht seine Praxis in der Adipositasbehandlung als Vorreiter. So hat er mit mehreren großen gesetzlichen Krankenkassen Selektivverträge abgeschlossen, die die multimodale Adipositastherapie inklusive BIA-Messung auch für gesetzlich Versicherte abdecken. Private Krankenkassen übernehmen im Grunde immer die Bioimpedanzanalyse, die über analoge Abrechnungsziffern aus der GOÄ abgerechnet wird. Einem großen Teil seiner gesetzlich und privat versicherten Patienten kann Dr. Keuthage die Adipositastherapie inklusive BIA mit einer Kostenübernahme durch die Krankenkasse anbieten. 


Unsere Expert:innen im Interview

Dr. Susanne Maurer – Fachärztin für Innere Medizin, Sportmedizin und Ernährungsmedizin sowie Leiterin des Zentrums für Adipositas- und Stoffwechselmedizin Winterthur und Belegärztin der Privatklinik Lindberg in Winterthur.

Dr. Bianca Itariu – Fachärztin für Innere Medizin und bis März 2023 Leiterin der internistischen Adipositas-Ambulanz im AKH Wien. Sie ist Lehrende an der Medizinischen Universität Wien und am FH Campus Wien. Sie kennt und nutzt die BIA seit 2008.

Dr. med Winfried Keuthage – Leitet die Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin in Münster, eine Anlaufstelle für alle, die ihre Adipositas behandeln lassen wollen. Neben dieser Tätigkeit ist er Mitglied im Ausschuss Ernährung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).


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